"Die Sinne trügen nicht, aber das Urteil trügt."
(Johann Wolfgang von Goethe, aus: Maximen und Reflexionen)
In der Menschenkunde Rudolf Steiners, die Grundlage unserer Arbeit ist, gehen wir von 12 Sinnen aus, durch die der Mensch die Welt in seiner Ganzheit erfassen kann.
In unserem Waldorfkindergarten dürfen die Kinder zuerst einmal die reale Welt mit ihren Sinnen entdecken und erforschen; dadurch lernen sie elementare Naturgesetzte, nachvollziehbare und wahrnehmbare Zusammenhänge kennen und verstehen. Aufbauend auf dieser Grundlage kann sich das Kind entfalten, entwickeln und mit dieser Basis höhere, abstraktere Therorien verstehen und anwenden lernen. Wir wollen, dass unsere Kinder ein waches Bewusstsein für das, was um sie herum geschieht und was mit ihnen geschieht entwickeln.
Erkenntnis-Sinne DENKEN |
Ich-Sinn |
Sozial-Sinne FÜHLEN |
Wärme-Sinn |
Körper-Sinne WOLLEN |
Gleichgewichts-Sinn |
Der Ich-Sinn bietet die Möglichkeit, das eigene Ich und das Ich eines anderen Menschen wahrzunehmen und ihn als Individuum zu erleben. Der Ich-Sinn bildet sich zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr und bleibt in ständiger Entwicklung
Der Gedanken-Sinn gibt die Möglichkeit zu denken. Er vermittelt uns das Verständnis und die Bedeutung von Begriffen und/oder Handlungen. Der Gedanken-Sinn entfaltet sich proportional zum Ich-Sinn und bleibt ebenfalls in ständiger Entwicklung.
Der Wort-/Sprach-Sinn ist der Kontakt- und Kommunikations-Sinn. Durch ihn nehmen wir in den Worten die Bedeutung dahinter wahr. Er entwickelt sich im 1. Lebensjahr, entfaltet sich jedoch erst mit dem Erwerben der aufrechten Haltung und bleibt in ständiger Entwicklung.
Der Hör-Sinn vermag Geräusche von Klängen, Tönen und Stimmen zu unterscheiden; ja mehr noch, Geräusche und Klänge vermitteln uns über den Hör-Sinn eine Wahrnehmung, Stimmen und Töne vermitteln uns eine Idee/Vorstellung von dem Gehörten. Der Hör-Sinn entwickelt sich in den ersten Lebensmonaten.
Der Wärme-Sinn gibt uns ein Empfinden über den eigenen Wärme- oder Kältezustand. Auch nimmt er als Qualität die Durchwärmtheit eines Körpers im Vergleich zur Eigenwärme wahr.
Der Seh-Sinn nimmt die Oberflächen der Dinge in ihrer Farbigkeit und Form wahr. Die Linse bringt erfasstes Licht und Farben in Form und Gleichgewicht. Denn das Auge selber sieht nicht. Das ICH sieht und nutzt das Auge als Wahrnehmungsorgan.
Der Geschmacks-Sinn braucht als Organ die Zunge, um dort alle unterschiedlichen Aromen und Strukturen zu schmecken/tasten. Er ist eng mit dem Geruchs-Sinn verbunden und sein Sinn offenbart sich über das Medium Speichel. Die Geschmackspapillen bauen sich proportional zum Alter ab.
Der Geruchs-Sinn braucht als Organ die Nase, in die viele unterschiedliche Aromen und Düfte steigen. Sein Sinn offenbart sich über das Medium Luft. Die Nase können wir nicht willentlich schließen, somit sind wir den Umweltgerüchen und Düften ausgesetzt. Wir können einen Geruch aber auch nicht festhalten - wir verbinden jedoch bestimmte Gerüche mit bestimmten Emotionen, Ereignissen oder Handlungen. Der Geruchs-Sinn entwickelt sich bereits im Embryonalstadium.
Der Gleichgewichts-Sinn befindet sich als Gleichgewichtsorgan an der Schädelbasis in Form von drei halbkreisförmigen Kanälen, die mit der Schnecke im Innenohr verbunden sind. Die motorischen Nerven verbinden das Gehirn mit den Muskeln um die Information weiterzuleiten mit denen wir uns in der Dreidimensionalität bewegen. Das Kind erlangt in seinem ersten Lebensjahr den Gleichgewichts-Sinn und entwickelt ihn im Erüben seiner Aufrichte.
Der Bewegungs-Sinn braucht als Organ das motorische Nervensystem des Rückenmarks und das zentrale Nervensystem. In der Muskelaktivität unserer Gliedmaßen und dem unmittelbaren Vergleich mit der Umwelt, nehmen wir wahr, ob wir gegenüber der Außenwelt in Ruhe oder Bewegung sind. Der Bewegungs-Sinn ermöglicht uns eine Mitsprache in der Bewegung und durch ihn erfahren wir das Gefühl von Freiheit und Freude. Im ersten Lächeln des Säuglings, zeigt sich der Beginn einer Entfaltung des Eigenbewegungs-Sinns.
Der Lebens-Sinn hat als Organ das autonome Nervensystem, das mit jeder Zelle unseres Körpers verbunden ist. Es gliedert sich in zwei Teile, das sympathische und das parasympathische System. Der Lebens-Sinn lässt uns unsere Gesundheit als auch unser Krankheitsgefühl spüren. Mit ihm erhalten wir unsere Konstitution. Ohne entwickelten Lebens-Sinn ist die Welterfahrung wie durch eine Betäubung erlebbar - ohne Schmerz und ohne Freude.
Der Tast-Sinn braucht als Organ die Haut. Meine Haut nimmt Druck von außen durch einen Gegenstand wahr, meine Körperlichkeit bilden einen Gegendruck und vermitteln ein erstes Bewusstsein über mein Dasein. Gleichzeitig erhalte ich eine Wahrnehmung von meiner Umwelt und über mich selbst. Schon im Embryonalstadium entwickelt sich der Tast-Sinn; seine erste wichtige Erfahrung sammelt er, wenn sich das Kind durch den engen Geburtskanal zwängen muss. Erst wenn die Arme des Kindes so lang gewachsen sind, dass es sich alleine vollständig abtasten kann, sagt das Kind ICH zu sich selber.
"Der Mensch ist eine Sonne, seine Sinne sind seine Planeten."
(Novalis, aus: Fragmente)